Meine musikalische Entwicklung verlief ein wenig, als ob ich mit der Dampflock durch’s späte 20. Jahrhundert getuckert wäre. Ich lernte die Beatles erst mit sechzehn kennen durch einen ungarischen Vikar, der sie mir mit Gitarrenbegleitung vorsang. Ich mochte bis dahin keine Rockmusik, denn ich hatte das Gefühl, das Schlagzeug zerschlägt den Gesang. Dass mir das Schlagzeug generell irgendwie auf die Nerven fiel, lag daran, dass ich nicht mit Rockmusik groß geworden bin – die Platten meiner Eltern, von Hannes Wader über Herman van Veen bis zu Joan Baez entdeckte ich erst mit mit ungefähr vierzehn und auch das war keine Rockmusik. Ich bin mit Livemusik großgeworden, mit Volksliedern, die mein Vater zur Gitarre sang, mit Gerhard-Schöne-Konzerten in unserer Kirche. Mit Kirchengesangbuchliedern, die unser Kantor in sehr begabter Weise orgelte. Mit Kanons, die meine Schwester und mein Vater sangen. Mit dem Weihnachtsoratorium, das unser Chor aufführte, und für das der Kantor eigens Orchestermusiker*innen aus Berlin einlud.
So kam es, dass ich eines Tages mit dreizehn auf dem Jugendtag in Burg im Spreewald eine Offenbarung erfuhr. Auf der Bühne stand in knöchellangem Rock und ausgebeultem Pullover eine Frau mit verwuschelter Hippiefrisur und hinter ihr ihre Band. Sie sprach ins Mikrofon etwas wie „Lied Nummer Soundso, unbedingt mitsingen“, und plötzlich sang sie: „Kommt herbei singt dem Herrn, ruft ihm zu der uns befreit“. Mir traten Tränen in die Augen, aber nicht, weil ich eine religiöse Erleuchtung hatte, sondern weil ich in diesem Moment zum ersten Mal in meinem Leben eine mikrofonverstärkte Frauenstimme singen hörte. Ich war zutiefst ergriffen. Jedes andere Mädchen hätte sofort den Schluss gezogen, dass es Bandleaderin werden müsse. Ich aber zog den eher allgemeinen Schluss, dass ich durch irgendetwas die Welt ebenso beeindrucken möchte, wie diese Frau uns alle soeben mit ihrer mikrofonverstärkten Stimme.
Und hier kommt Deine Aufgabe: Überlege, welcherlei künstlerische Offenbarung Du in Deiner Kindheit erlebt hast. Schreibe darüber Deine Gedanken auf! Mach daraus eine Geschichte!