Vor zehn Jahren saß ich hochschwanger unter’m Birnbaum in unserem Kleingarten und strickte. Die Maisonne streichelte mir Gesicht und Hände, unsere Nachbarin grüßte, der Vater meiner Kinder pflanzte einen Haselstrauch und mein kleiner Sohn buddelte im Sandkasten.
Als werdende Mutter hast Du ein Gefühl, was das für ein Baby die Frucht in Deinem Bauch einmal werden wird, was für einen kleinen Menschen Du dabei bist, auszutragen. Als ich mit meinem Sohn schwanger ging, mochte ich keinen Mozart hören, obwohl der doch für Babys so gesund sein soll und ich hatte wenig Lust, mich meiner Kunst zu widmen. Ich war oft sehr melancholisch und einsam. Zugleich freute ich mich ungemein auf meinen kleinen Jungen. Ich schlief viel, war ziemlich faul und mochte keine roten Soßen essen.
Mein Sohn, heute ist er ein Teenager, sagt, „Sorry Mama, aber Kunst interessiert mich nicht, und ich mag auch keine Tomaten. Aber Computer und Zahlen sind mein Ding und darin bin ich richtig gut.“
Während ich mit meiner Tochter schwanger ging, stürzte ich mich in alle möglichen Projekte, gestaltete einen Kellerraum in der Galerie K-Salon in den Wohnraum einer mexikanischen Putzfrau um, die ich die „Nachtsonne“ nannte, nähte jede Menge Kleider und hatte alle möglichen Ideen für Installationen. Ich hatte Schwierigkeiten, einzuschlafen, so sehr voll war ich von Einfällen für meine Kunst. Ich fühlte mich freudig und stark, als könne ich Berge versetzen, und ich hatte ein sehr positives Verhältnis zum Leben.
Meine Tochter heute ist sehr kreativ und baut sich immer aus Taschentüchern, Steinen, Puppen und Kastanien kleine oder große Welten auf dem Fußboden auf. Sie erfindet Brettspiele und liebt das Klavier. Sie führt manchmal ein Café im Garten, in dem sie selbst gemachte Limonade und einen Drink namens „Total Eclipse“ verkauft, auf dem braune Schokoblasen schwimmen und der nach Süße und Himmelreich schmeckt.
Wie erschaffe ich Figuren, magst Du Dich fragen und das ist leicht und schwer zugleich. In Dir sind die Facetten zu vielerlei Figuren schon angelegt, du musst sie nur freilegen, oder besser gesagt, in Dir ansprechen.
Oft haben Autor*innen eine Affinität zu einer bestimmten Art von Persönlichkeiten. Mir liegt es zum Beispiel, Männer zu beschreiben, die eher egozentrisch sind und dabei sehr eigen, denn mit solcher Art von Männern bin ich aufgewachsen. In der Kunstwelt sind viele Männer so und manchmal habe ich selber solche Partner gehabt. Aber der Prototyp ist – wie immer – mein Vater mit seinen lieben Kauzigkeiten und seinem Egozentrismus. Außerdem ist Eins gewiss: dass ich ihn liebe und das ist das Entscheidende bei der Erschaffung von Figuren: Du wirst sie mit der Zeit lieben lernen, auch die schwierigen Charaktere, auch die Antagonisten, allein weil Du viel Zeit mit ihnen verbringst und viel Liebe auf ihre Erschaffung verwendest.
Solltest Du am Anfang noch nicht so recht warm werden mit einer Figur, sagen wir, Du hast Dir Deine Gartennachbarin als Heldin für Deine Geschichte gewählt, und es fällt Dir jetzt schwer, Dich von ihren wirklichen Eigenschaften und Vorlieben zu lösen, dann kreuze sie ganz einfach mit einer anderen Deiner Lieblingsgartennachbarinnen! Die eine ist womöglich etwas simpel, aber sehr selbstbewusst, die andere ist vielleicht romantisch, liebevoll und etwas verträumt. Schreibe Alles auf, was Du denkst, wie diese neue, gemixte Figur sein könnte und überlege Dir vor Allem Eins: was möchte sie in Deiner Geschichte, was ist ihr Wollen, ihr Ziel, was ist ihr Alles überragendes Bedürfnis?
Das Schöne am Schreiben ist, dass Du während des Schreibens nicht nur Deine Figuren, sondern auch Dich selber besser kennen und lieben lernst, denn diese Figuren sind ein Teil von Dir, mit dem Du Dich liebevoll beschäftigst.
Hier ist, falls Du möchtest, eine Schreibaufgabe für Dich: Denke an Menschen, die Du magst, mit denen Du aber nicht zu eng zu tun hast. Wähle Dir zwei davon aus und kombiniere sie zu einer Person. Gib der Person einen Namen und ein Ziel. Nimm Dir ein bis zwei Nebenfiguren dazu und schreibe eine Kurzgeschichte!