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LITERATURBLOG

Mein Vater oder woher kommt bei mir das Schreiben? (1)

Dazu möchte ich zuerst verraten, wer meine redenden Vorfahr*innen sind und waren: meine Oma (mütterlicherseits, zu ihr schreibe ich später) und mein Vater.

Mein idealer Leser war und ist auch heute noch mein Vater. Schon als ich mit sechs Jahren Gedichte schrieb und sie mit Ormeg-Abzügen vervielfältigte und zu kleinen Heftchen band, war mein Vater mein erster Kritiker und Begleiter. Er ist wohlwollend und klug. Er hat mir immer auf alle Fragen ausgiebig geantwortet und mir alles erklärt, wie ein zuverlässiges Lexikon, selbst Sachen, die er nicht so genau wusste (für die holte er dann Meyers Lexikon oder den großen Brockhaus aus dem Schrank). Er ist ein evangelischer Pfarrer im Ruhestand und er liebt Bücher. Er liest regelmäßig eine Stunde am Tag in einem Roman. Seine Eigenart ist es, dass er auch langweilige Bücher zu Ende liest und aus ihnen einen, wenn auch nur ungefähren Nutzen zieht. Von ihm habe ich die Sprache. Die Zärtlichkeit zwischen uns bestand zeitlebens vor Allem in Sprache. Wenn wir uns beim Abwaschen miteinander unterhielten, gab ich mir immer Mühe, ihn mit besonderen Worten zu beeindrucken, mit einer schönen Sprachwahl, mit originellen Wendungen. Er war und ist auch immer noch ein großer Vorleser, zum Beispiel liest er meinen Kindern Märchen.

Doch zurück in die kleine Stadt an der polnischen Grenze, in der ich groß geworden bin. Durch die Wand unseres Kinderzimmers, hinter der sich eine jüdische Friedhofskapelle befand, die Zeit meines Lebens für evangelische Gottesdienste benutzt wurde, hörte ich meinen Vater und seine Gemeinde immer Kirchengesangbuchlieder singen. Er sang sehr gerne laut, so dass es manchmal schien, als sei nur er in der Kapelle. Dadurch lernte ich viele dieser archaisch anmutenden Melodien, ohne selbst oft im Gottesdienst gewesen zu sein. Wenn ich aber im Gottesdienst war, prägte sich mir die altertümliche Sprache der Lieder als wohltuend und auch höchst merkwürdig ein. Bei der Predigt verlor ich häufig den Faden und hatte daher meinen Vater im Verdacht, dass er hier und da absichtlich mit unlogischen Gedankenfolgen operierte, um mich und die Gemeinde in die warme, filzige Decke seines Glaubens zu verwickeln. Doch dagegen war nichts zu sagen. Die Welt seines Glaubens und seiner Kirche war in meiner Kindheit in der DDR ein Fluchtort, eine Welt des freien Denkens, die der Welt des „Klappe-Haltens“ mit manchmal starkem, manchmal schwachem Widerstand gegenüber trat. Meines Vaters Welt war eine Welt des endlosen Debattierens und der freundlich gelebten Gemeinschaft. Und sie war eine Welt der Suche nach einer inneren Wahrheit.

Immer, wenn mein Vater sich mit der Gitarre auf dem Rücken pfeifend auf sein Fahrrad schwang, um seiner Arbeit nachzugehen, hatte ich den Eindruck, dass er sich in eine glückliche Parallelwelt verdrückte. Dass er abhob mit seinem Fahrrad und den Klammern an den Schlaghosenbeinen, in ein Paralleluniversum, das mit der grauen, sozialistischen Realität, wie sie in der Schule täglich auf mich einschlug, nichts zu tun hatte. Und so lernte ich, dass Parallelwelten erlaubt sind, dass Kunst erlaubt ist und auch das Schreiben. 

Schreibe über den Menschen in Deinem Leben, der Deinem Schreiben wohlwollend gegenüber steht, schreibe über Deinen idealen Leser! Sollte Dir niemand einfallen, schreibe, wie Du Dir Deinen idealen Leser wünschst.

Alternativaufgabe: Schreibe darüber, von woher bei Dir die Liebe zur Sprache und dem Schreiben kommt!