Es ist ein später Herbsttag, die Bäume machen sich noch einmal schön, werfen mit theatralischer Geste ihre rotbunten Röcke auf, bevor sie sich bald erschöpft in ihre scheinbare Wintersterblichkeit begeben werden.
Ich habe einen guten Trick, die optimale Sonne an meinem Küchenfenster abzufassen. Ich öffne es sperrangelweit, schlage meinen Laptop auf und stelle mich ans Fensterbrett. Die Sonne liebkost mir Gesicht und Hände und ich bin sehr zufrieden und möchte gleich loslegen. Doch heute schlägt mir aus dem Hof Lärm breit ins Gesicht. Es ist ein Laubsauger, der da so brüllt. Wäre ich das Grünflächenamt, würden alle meine Mitarbeiter das Laub von Hand harken. Ich versuche trotzdem, mich zu konzentrieren. Sonne zu tanken ist doch in dieser Zeit des simulierten Untergangs das einzig Richtige. Doch das Knattern des Laubsaugers sägt mir die Ohren ab und Ohrstöpsel helfen da gar nichts. Ich beschließe, in den Park zu gehen. Das Aufregende ist: das tue ich fast nie. Gleich am Eingang zum Park werfe ich meine Jacke auf einen der Liegestühle des kleinen Cafés und hole mir einen Alibidrink als Eintrittskarte. Es ist Biozitronenbrause, die nach Abwaschwasser schmeckt. Immerhin ist es Bioabwaschwasser. Ich warte, dass die Ideen mir zufliegen, doch was mir nur massenweise zufliegt, sind diese kleinen, unverwüstlichen, japanischen Marienkäfer, die hier bei uns keine Feinde haben. Okay, Ideen, sage ich mir, fliegt mich ruhig in Form von ausländischen Marienkäfern an, mal sehen, was Ihr bringt!
Es stellt sich heraus, dass meine schwarzen Stiefel von schwarzen Fliegen bevorzugt werden und mein himmelblauer Pullover von eben jenen japanischen Marienkäfern, als ob sie, wie man das ja den Japanern nachsagt, einen sehr feinen Sinn für Farbkontraste hätten. Ein schmucker Colli kommt auf mich zu, sein Besitzer döst in der Sonne. Der Colli will nicht etwa von meiner Brause trinken, nein, er möchte die hundert Jahre alte Linde neben mir markieren. Schräg vor mir baut eine Familie mit Bierbänken und Lampions ein Kindergeburtstags-Setup auf. Das Café lässt Musik laufen, von der ich durch meine Ohrstöpsel gerade genug höre, dass sie mich stört. Der Barkeeper bringt mir eine Bierkiste mit Brett als Tisch für meinen Laptop. Jetzt, wo ich Alles aufgeschrieben habe, sollte die Gefahr der Ablenkung gebannt sein. Ist sie aber nicht. Ich sollte mir Schallschutzköpfhörer zulegen. Das wäre ideal. Die leicht aufgeregte Atmosphäre ringsum und dazu eine göttliche innere Stille.
Doch das Besondere ist, dass während ich hier so schreibe, mein eigener Text mich in eine tiefere Konzentration hineinzieht. Obwohl ich japanische Marienkäfer wegschnipsen muss und die Straße tost, die Cafémusik wummert und ein Hubschrauber die Luft pflügt, obwohl die Babygeburtstagsparty nun mit nur einem Baby und einem Dutzend Erwachsener in vollem Gange ist, kann ich mich auf meine Gedanken konzentrieren. Sie bilden einen Strudel, einen Strom, der mich in mein weißes Blatt hineinzieht oder in den Computerbildschirm.
Hier nun eine Aufgabe, wenn Du magst: Nimm Dein Schreibheft mit auf eine Bahnfahrt oder an einen belebten Ort, wie einen Bahnhof oder ein viel frequentiertes Café. Beschreibe erst die Welt um Dich herum und alle Sinneseindrücke, die Menschen, die kommen und gehen, die Katzen, die Hunde. Beobachte Dich dabei selbst: inspiriert Dich Deine Umgebung oder ist die Aufregung in ihr eher lästig? Wenn Ersteres der Fall ist, bist Du vielleicht eine Caféschreiber*in. Vielleicht spornt die Unruhe um Dich herum Deine Konzentration an. Wenn dem so ist, so gehe eine Woche lang immer wieder an unruhige, aber inspirierende Orte (vielleicht das Foyer eines Museums) und sammle Eindrücke, um diese dann entweder zu einer Geschichte oder auch nur zu einer Beobachtung zu verarbeiten, die Du Dir als kleine Skizze aufhebst, um sie vielleicht später einmal zu verwenden.