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LITERATURBLOG

„It’s a Sven“ oder Nomen est Omen (24)

Seit ungefähr zehn Jahren überlege ich immer mal wieder im Abstand von ein paar Jahren, ob ich meinen netten Nachbarn Sven, der in unserem Haus so vielen älteren Menschen hilft, zu einem Kaffee einladen soll. Meine schriftstellerische Phantasie springt dann immer so weit, dass ich uns schon eine Tür von meiner Küche zu seiner einbauen und uns beide durch eine Flucht von Zimmern tanzen sehe. Trotzdem weiß ich wenig über Sven. Wenn er so ist, wie sein Name, dann ist seine Wohnung etwas dröge eingerichtet, aber so perfekt, dass ein Möbelmagazin bei ihm Fotos machen könnte, ohne auch nur die Position einer einzigen Vase oder Fußbank justieren zu müssen.

Letztes Jahr habe ich Sven zu einem Kaffee eingeladen, habe gesagt: irgendwann einmal, wenn er Zeit habe. „Kaffee?“ fragte er leicht gereizt als hätte ich ihm einen Drink aus Arsen und Blausäure in Aussicht gestellt. Kaffee, nein den trinke er nicht.

So ist also unsere mögliche Kaffeeverbindung und die potentielle Zimmerflucht erst einmal gekappt. Kann es daran liegen, dass er ein Sven ist und kein Friedrich, Quentin oder Mariano? Natürlich checke ich, seit ich vor 13 Jahren hier eingezogen bin, die Vorstellung, ob Sven in meine private Welt hinein passen würde. Meistens beantworte ich mir die Frage mit: Er ist voll nett, ABER er ist ein Sven. „It’s a Sven“, das könnte eine Autowerbung sein. Sven ist ein Markenname. In der DDR saßen neben mir in der Schulbank und standen hinter mir in der Kaufhausschlange eine endlose Reihe von nichtssagenden Svens, ihre kurzen Haare von mausgrauem Blond, in ihren Köpfen hellblaue Watte. Es gab keinen Grund, mich mit ihnen anzufreunden, denn sie langweilten mich schon beim Hinsehen. Diese Kaufhausschlange der Allerweltspersönlichkeiten könnte ich außerdem noch durch eine handvoll Jense, Uwes und Thorstens erweitern. (Liebe Uwes, Svens und Jense, die ihr diesen Artikel lest, Ihr seid natürlich einzigartig, und hiermit nicht gemeint.;)

Mache ich also einen Mann mit einem Allerweltsnamen zum Helden meiner Geschichte, werde ich harte Arbeit haben, meine Leser*innen darauf einzuschwören, dass er durchaus jemand ganz besonderes ist. Ich muss vermutlich während der gesamten Geschichte mit viel Schweiß gegen dieses allgemeine Sven-Vorurteil ankämpfen, das viele Menschen (mich nicht ausgeschlossen) in ihren Köpfen haben.

Als ich meine Kinder in meinem Bauch trug, habe ich mir sehr viel Zeit dafür genommen, für sie die passenden Namen zu finden. Jede werdende Mutter und jede Autor*in hat schon ein Vorgefühl, was für ein Kind sie da bekommen wird und zu was für einem Menschen sich ihre Hauptfigur entpuppen will. Und sie kann dem Kind mit ihrer Namensgabe beistehen. Freunde von mir haben ihr Frühchen Boas getauft, was auf Hebräisch „Kraft“ bedeutet. Oder wer wie ich nach einer katholischen Heiligen benannt ist, hat schon von der Legende her viel Leiden auf seine Seite gebucht.

Neben der Bedeutung der Vornamen spielt natürlich auch der Klang eine Rolle. Deine Leser*in wird ihr Bild von Deinem Sven zuerst nach den anderen Svens formen, die sie kennt, dann nach dem Klang des Namens und erst zuletzt nach seiner Bedeutung. Deswegen, wenn ein Name sehr häufig in einer bestimmten Generation vorkommt, hat Deine Hauptfigur Sven gegen eine Menge Vorurteile anzukämpfen (wie mein lieber Nachbar durch die Vorurteile von mir). Dass Sven „der junge Krieger“ bedeutet, spielt dabei eine weitaus geringere Rolle, als dass ein gewisser Sven Habicht in der Schule neben Deiner Leserin saß und immer mit dem Zirkel Löcher in deren Radiergummi gestochen hat, wenn sie nicht hinsah.

Da also ein Jens Meier lange nicht so gute Chancen hat, die Phantasie unserer Leser*in in die gewollte Richtung zu beflügeln, empfehle ich, bei der Namensfindung im Internet nach seltenen Namen zu suchen. Eine Katinka Schallenberg muss lange nicht so hart darum kämpfen, zu beweisen, dass sie das Zeug zur Heldin hat, wie eine einfache Katrin Schulz.

Wenn uns Wartenden also die Markenansage „It’s a Sven“ aus dem literarischen Geburtszimmer entgegenschallt, sollten wir noch einmal hingehen und Svens‘ Mutter beziehungsweise die Autor*in fragen: „Hast Du Dir das auch wirklich gut überlegt?“

Während statistisch gesehen Kinder mit ungewöhnlichen Namen angeblich selbstmordanfälliger sind, wird in der Literatur ein wohlkomponierter Name unseren Charakteren Langlebigkeit verleihen.

Wenn ich Figuren erschaffe, dann kann es manchmal passieren, dass sie für lange Zeit nicht den richtigen Namen tragen. Nachdem der Roman schon zur Hälfte fertig ist, habe ich dann womöglich immer noch das Gefühl, dass ich die Hauptfigur umtaufen müsste. Hast Du dieses Gefühl bei einer Deiner Figuren, dann tu es auch! Befrage Deine Freund*innen, wie dieser oder jener Name in ihren Ohren klingt! Beachte, dass manche Namen eine ethnische Herkunft implizieren. Wachtmeister Zwirndsel wird sicher irgendwo in Bayern seinen Dienst tun. Flatagoria Meucentu ist eine Tänzerin aus Brasilien und Bladrata Wolf trägt zwar einen völlig aus dem Nichts geschaffenen Vornamen, aber er klingt slawisch. Für Menschen mit viel Englisch im Alltagsvokabular mag sie labern oder eine Menge schwafeln (von englisch „to blather“). Für ein im Deutschen beheimatetes Ohr ist sie vielleicht jemand, die mit dem Rad jederzeit eine Menge Dinge platt fährt. Der deutsche Nachname bringt Sachlichkeit in die Vielfalt ihrer Namensinterpretationen. Trotzdem ist Eines klar: Mit Bladrata Wolf lege man sich besser nicht an, denn sie bekommt immer, was sie will.

Hier ist, wenn Du magst, eine Schreibaufgabe: Nimm Deine Lieblingsfremdsprache, sagen wir, es ist Finnisch. Suche Dir im Internet eine Liste finnischer Vornamen, lies sie genüsslich durch und erfinde selber einen finnischen Vornamen. Jetzt erfinde für diese Figur einen deutsch klingenden Nachnamen. Schau, wie Dir der Name bereits zublinzelt, weil er gerne zu einer Figur in Deiner Geschichte werden möchte. Nehmen wir als Beispiel Suuni Ackermann, zart, mit chronischen Halsschmerzen und mit Haaren wie aus Sonnenstrahlen.Such Dir jetzt deutsche, männliche Vornamen heraus, einen landläufigen und einen seltenen. Zum Beispiel Horst und Leander. Skizziere den Plot einer Geschichte, in der Suuni mit Horst Ackermann verheiratet ist und dann lass sie in der zweiten Geschichte mit Leander Fahrner eine platonische Liebe erleben. Wähle einen der beiden Plots aus und erschaffe Deine Geschichte! Oder verknüpfe beide Plots zu einer Geschichte, falls Du das lieber magst!