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LITERATURBLOG

Dialoge: Den Ball in der Luft halten (32)

Als vor ein paar Jahren noch die in Tegel anlandenden Flugzeuge die Angewohnheit hatten, so tief zu fliegen, dass wir es für gewöhnlich nur unter Mühen schafften, laut genug zu reden, um unsere Gespräche nicht wegen des Fluglärms unterbrechen zu müssen, war das auch die Zeit, in der es absolut unmöglich war, den Gesprächen unserer Nachbarn zu lauschen. Glücklicherweise gelang es auch diesen gleichzeitig nicht, unsere verbalen Nahkämpfe “abzuhören”.

Jetzt wo ich unfreiwillig manchmal ein Gespräch der Nachbarn überhöre, fällt mir auf, wie sehr sie sich im Kreise drehen und wie oft auch eigentlich nichts gesagt wird, trotz der vielen Worte. Wie sich Macht und Unterwürfigkeit ausdrücken und wie es manchmal auch völlig konfliktfreie, ja fast inhaltsleere Gespräche geben kann. Und das ist auch richtig so, denn im wirklichen Leben geht es oft allein darum, eine bestehende Beziehung zu bestätigen und miteinander „im Gespräch zu bleiben“. Beim Schreiben von literarischen Dialogen sollten wir uns aber für eine andere Gangart entscheiden.

Die meisten Schreibratgeber gehen davon aus, dass ein Dialog kurz und prägnant sein sollte. Sie sind sich darin einig, dass jede Sprecher*in ihre eigene Art zu reden haben muss. Und dass ein Dialog Konflikt braucht und eine Richtung, damit er die Handlung voran treiben kann. Es ist uns allen ein Graus, wenn im Dialog die Handlung nacherzählt wird oder deren Hintergründe. Das ist dann der berüchtigte Infodump-Dialog, der mit Recht ein rotes Tuch ist. Robert McKee sagt Drehbuchautor*innen: „Je mehr Dialog Sie schreiben, desto weniger Wirkung hat er.“ Er empfiehlt, die Welt, die wir zeichnen, vor Allem in Bildern zu zeigen.

Anna Gavaldas Roman „Zusammen ist man weniger allein“ habe ich als ausschließlich aus Dialogen bestehend in Erinnerung. In Wirklichkeit besteht er aber nur zur Hälfte aus Dialogen und ist damit dennoch ein herausragendes Beispiel für deren Kraft und Eigendynamik.

Wenn ich Dialoge schreibe, dann notiere ich mir zunächst, was mir ganz zufällig in den Sinn kommt. Ich lasse also die Figuren drauf los reden, einfach, lauter und direkt. Sie dürfen zunächst erst einmal das aussprechen, was ihr Anliegen ist. In der Überarbeitung verpacke ich dann die Botschaften der einen oder anderen Figur in ein schönes Papier, verbräme sie, lasse sie vielleicht lügen, lasse womöglich jede der beiden über ein völlig anderes Thema reden. Außerdem weiß ich mit der Zeit genauer, welchen Charakter meine Figuren haben und kann sie sich dementsprechend effektiv oder auch blumig ausdrücken lassen. Sobald ich weiß, welcher Herkunft sie sind, kann ich den Soziolekt auswählen, in dem sie reden, zum Beispiel „prollig“ oder intellektuell, feministisch oder gestrig. In jedem Fall darf ihre Sprache Slang und Schimpfwörter enthalten. Sie sollte dabei jedoch treffend und prägnant bleiben.

Mijelikki ruckelt, holt etwas Großes aus dem Postbriefkasten am Kindergartentor. Eingewickelt ist es in gelbes, knittriges Papier. Sie hält es über ihren Kopf.

„Mama, was heißt das?!“

„Was das ist, meinst du? Was ist es denn? Pack es doch aus!“

Ewan ist schon nicht mehr da. Es wäre schön, wenn er noch vor mir stünde. Wir könnten über diesen Kasten reden, und dass Mijelikki ihn zu öffnen an keinem einzigen Tag vergisst. Mijelikki reißt mit großer Resolutheit das gelbe Päckchen auf. Eine Orchidee erscheint.

„Was heißt das, Mama?“

„Das ist eine Blume, Mijelikki, eine Orchidee!“

„Mamaa, was das heiheißt!!!“

Dass es etwas heißen könnte, daran hatte ich bisher noch nicht gedacht. Es stimmt, Blumen heißen immer etwas, und eine Orchidee erst recht.

(aus meiner Erzählung „Irdenday“ im gleichnamigen Erzählband, S.31)

Dies ist ein Beispiel für einen Erzähldialog, den ich aus einem erlebten Dialog gekeltert habe. So möchte ich Dich dazu anregen, an einem belebten Ort, wie einem Café im Park, Gespräche und Gesprächsfetzen zu belauschen. Schreibe diese auf, mach Dir ein paar Notizen zu den Sprechenden. Imaginiere, wer sie sind, wie sie zueinander stehen, ihr Alter, ihren Beruf. Such Dir dann eine Konversation heraus und schreibe für diese beiden Figuren einen selbsterfundenen Dialog. Versuche, ihn im Sinne eines Konflikts zuzuspitzen. Zeichne auch die Reaktionen der beiden Sprechenden aufeinander auf. Schau am Ende, ob Du mit Deinem erfundenen Dialog den Originaldialog übertreffen konntest.