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LITERATURBLOG

Die Nonsensmaschine (20)

Ich hatte einmal einen Freund, dessen Ziel es war, alle Sprachen zu lernen, die rund um die Ostsee gesprochen werden. Er war nicht zufällig mein Freund. Auch ich hatte damals neben der Kunst das Hobby, (fast) alle Sprachen der Länder zu lernen, in denen ich mich gerne aufhalte. Schwierige und gleichzeitig von kleinen Völkern gesprochene Sprachen, wie Tschechisch, Finnisch oder Walisisch waren meine Favoriten.
Ich mochte es, Schritt für Schritt mehr von den Gesprächen der Einheimischen zu verstehen. Ich wollte hinter deren Geheimnisse kommen, ihre Mentalität erkunden. Ich wollte enge Freunde gewinnen.

Fremdsprachenlernen ist ein dauerndes Spiel aus Versuch und Irrtum. Das erste Gute ist: Du kannst kreativ sein. Du probierst Formulierungen aus und schaust, welche Reaktionen diese auf dem Gesicht Deines Gegenübers hervorrufen. Du kannst alle möglichen Absurditäten und Worterfindungen bringen, Deine wohlgesonnen Freund*innen werden sagen: „Ach, die liebe Ausländerin, wie sie uns doch durch ihre Nonsenskreationen inspiriert.“

Das zweite Gute ist: Du bist von einer fremden Sprache umgeben und bist in ihr vor den Traumata Deiner Kindheit geschützt, die Dich in Deiner Muttersprache womöglich belasten.

Trotz dieser positiven Effekte, hätte ich mir jedoch gewünscht, dass mich in den Zweitausendern mal jemand vom ewigen Sprachenlernen losgeeist hätte, zum Beispiel, um eine Geschichte bei mir zu ordern. Denn: Wer schreibt, der bleibt.

Wenn ich Sprachen lerne, statt meine Muttersprache zu schmieden, verpasse ich die Gelegenheit, mich selbst zu untersuchen, mich selbst zu erfahren und mich selbst zu heilen. Permanent neue Sprachen reißen die Wunde des Nicht-Verstanden-Werdens immer wieder auf. Mit Prosa oder Gedichten aber kannst Du die Welt dazu verführen, Dich zu verstehen.

Insbesondere Gedichte leben vom Nonsens und von Assoziationsräumen. Deshalb kommt hier, falls Du möchtest, eine Schreibaufgabe (Du brauchst dazu einen Computer und ein Smartphone): Öffne den Google-Übersetzer auf dem Computer, wähle Deutsch und Finnisch aus und schreibe in das deutsche Feld irgendetwas hinein. Zum Beispiel, was Du heute noch vorhast: Einkaufen gehen und den Hund ausführen. Es kann vollkommen dröge und langweilig sein. Und hier tritt die Nonsensmaschine in Aktion: Öffne auf dem Smartphone den Notizenordner, fange eine neue Notiz an und stell die Tastatursprache auf Deutsch ein. Nun diktiere Deinen finnischen Text hinein, egal wie falsch Deine Aussprache ist (Diktierfunktion: das ist so ein kleines Mikro rechts unterhalb der Tastatur, nicht zu verwechseln mit der Textaufnahmefunktion, bei der du ein Audio versenden kannst). Dein Smartphone versucht jetzt, diesen finnischen Text als deutschen zu verstehen. Du wirst sehen, dass sich Dein dröger Text plötzlich in einen interessanten, absurden, deutschen Text verwandelt. Produziere auf diese Weise noch ein, zwei weitere Texte und lies sie Dir dann in Ruhe durch. Wähle den inspirierendsten aus, um daraus eine absurde Geschichte oder ein Gedicht zu schmieden!