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LITERATURBLOG

Die unterstützenden Geister (21)

An der Kunsthochschule Dresden gab es zur Zeit meines Studiums in den Neunziger Jahren einen jungen Assistenten der Kunstgeschichte, der uns immer alle anklagte. Wir sollten uns überlegen, ob die Welt unsere Kunst wirklich braucht, ob der privilegierte Platz, den wir damit einzunehmen trachten, gerechtfertigt ist. Er redete fast alle Kunst, die er von uns sah, bis auf Null herunter. Das lag auch daran, dass unsere in der DDR sozialisierten Professor*innen wollten, dass wir wie sie malten und somit Retrokunst fabrizierten, die 50 bis 100 Jahre hinter dem heutigen Diskurs zurückliegt. Was an anderen Kunsthochschulen längst bekannt war, hatte sich bis an unsere in Dresden noch nicht herumgesprochen: Dass es das Wichtigste ist, das eigene innere Thema zu finden und eine ureigene Ausdrucksweise. Dass es um eine Selbstsuche geht und dass es um Versuch und Irrtum geht, und dass es das perfekte Kunstwerk nicht gibt. Dass frau, wenn sie sich selber näher kommt, auch den anderen etwas zu sagen hat.

Der junge Assistent fand also jede Menge Retrokunst in den Schülerateliers vor, die genüsslich zu zerschmettern er zwar nicht das Recht hatte, aber aus seiner Sicht die moralische Pflicht.
An der Kunsthochschule in Dresden herrschte bald ein vollkommener Nihilismus. Die Retrofront stellte sich gegen den Assistenten und seinesgleichen auf. Und der Assistent stellte immer absurdere Beispiele von Alltagskunst gegen die tatsächlich oft traurigen Kunstversuche der Student*innen. Was er jedoch nicht begriff, war, dass die Kunst vor Allem eine Berufung ist und nicht so sehr ein Beruf. Er setzte sich jedoch auch dafür ein, dass Witz und Geist in unsere Kunst Einzug hielten, und das war wiederum das Gute an ihm. Die Retrofraktion hielt seinen Attacken das Bild vom Malerschwein entgegen, das wie ein Besengter von morgens bis abends malen muss, um durch seine harte Arbeit und seinen Schweiß dann endlich irgendwann einmal Kunst auszudünsten. Der Assistent dagegen präsentierte uns riesige Legodinosaurier im Kaufhaus am Altmarkt und mit schwarzen Balken verklebte Pornostills als Kunst. Er wünschte sich offenbar, dass die Kunst weder geistig noch heilig sein möge, sondern ganz profan und mit jeglichem, zufällig daher gelaufenen Kaffeemaschinenmodell verwechselbar.

Seine und die Irrwege der Retroprofessoren waren für mich in dieser Zeit nicht sehr hilfreich. Als ich 1999 an die Kuvataideakateemia nach Helsinki kam, war ich daher überglücklich, zu entdecken, dass es eine Abteilung der Kunsthochschule gab, die „Tila-Aika“ hieß, „Raum und Zeit“. Dorthin zog es mich von nun an. Da gab es Kurse zum Videoschnitt, zur ökologischen Zeichensetzung in Raum und Natur, zu von der Straße aufgelesenen Texten.

Ich lernte, dass am hilfreichsten nicht das ständige Nein-Sagen ist, sondern das Ja-Sagen und Ausprobieren. In Dresden gab es kaum gute Geister, die mich umstanden, sondern hauptsächlich Kopfschüttler und Verhinderer. Hier in Finnland war das anders. Orla Barry beispielsweise, eine Text- und Allroundkünstlerin aus Irland, saß mit uns in einer Runde, redete darüber, wie ein Text die Wahrnehmung eines Bildes beeinflussen kann und schickte uns nach draußen, um Dialoge zu sammeln.

Ich kam mit einer Handvoll literarischer Miniaturen zurück, eine davon handelte von dem möglichen Flirt einer Nonne mit einem Gymnasiasten an einer Tramhaltestelle.

Orla Barry gefiel, was ich geschrieben hatte, und sie sagte: „Mach doch so ein kleines Heftchen daraus, und gib jedem von uns hier im Kurs davon eines.“ Orla Barry war nach dem notorischen „Nein“ des Dresdner Lehrkörpers die erste, die „Ja“ zu mir gesagt hatte.

Und hier möchte ich Dir Folgendes ans Herz legen: Suche Dir solche unterstützenden Geister, die Deinem Schreiben gegenüber positiv eingestellt sind und die Dich zum Schreiben ermutigen. Das kann eine Schriftsteller*in sein, die einen Volkshochschulkurs leitet, das kann Deine Cousine sein oder ein Arbeitskollege. Sollte es mau aussehen in Deinem Umfeld, dann wähle einen guten Geist aus dem Kreis Deiner Lieblingsautor*innen, druck Dir ein Foto von ihr aus und hänge es neben Deinen Schreibtisch. Stell Dir vor, dass sie oder er über Dein Schreiben wacht und wohlwollend auf neue Werke von Dir wartet. Dass sie nickt und applaudiert.