Spontan fällt mir dazu ein: Nein, denn Schreiben ist eher dreidimensional. Alles hat mit Allem etwas zu tun und Alles muss einen Grund haben.
In meiner Jugend, lange bevor ich die Meditation kennenlernte, strickte ich sehr viel. Während der Klassenfahrt musste meine Freundin Ricarda mich meistens unterhaken, da ich, während wir durch Weimar spazierten, an einem Pullover strickte, das Wollknäuel in der Manteltasche. Die Notwendigkeit, zu stricken war durchaus groß in der DDR. Viele Leute strickten „auf Arbeit“ wenn wieder einmal „Teile fehlten“. Es gab kaum schöne Klamotten zu kaufen. Mit zwölf hatte ich es satt, die Cordhosen und Samtpullover meiner drei Cousins aufzutragen, die zwar aus dem Westen stammten, aber nach der vierten Generation aussahen, wie die Gartenklamotten meines Großvaters. Das Stricken half mir außerdem, mich von unwirtlichen Umgebungen nicht erschlagen zu lassen, sie nur halb wahrzunehmen und mich somit der unerbittlichen Wirklichkeit zu entziehen. Wegen des Strickens im Wehrkundeunterricht – es lief ein hirnverbrannter Panzerfilm – bekamen Ricarda und ich eines Tages vom Direktor eine Rüge. Das machte uns wenig aus, denn durch das meditative Stricken waren wir äußerst relaxt.
Es macht mir bis heute Spaß, Farben in den Händen zu halten, und so auch, meine Finger in Wolle zu tunken und mit Farben etwas zu erschaffen.
Als ich auf einer Kunsthochschulfahrt nach Kassel an einem Pullover strickte, fragte man mich von allen Seiten, ob ich damit mein Diplom machen wollte. Ohne dass die Kommiliton*innen es wussten, waren sie damit ihrer Zeit voraus. Heute gibt es viele Künstler*innen, die Wolle und Stoffe in ihren Werken verwenden. Meine Lieblingskünstlerin ist dabei immer noch Rosemarie Trockel.
Während Stricken im Mittelalter Männersache war und im ersten Weltkrieg Frauen Morsecodes in die Pullover einstrickten über Truppenbewegungen oder Pläne der Gegner (schon damals hätten sie besser „Make Love Not War“ eingemorsestrickt) ist es auch heute noch immer eine nicht sehr hoch angesehene Tätigkeit, die weiterer Lobbyarbeit bedarf.
Und doch hat auch das Romanschreiben mit dem Stricken etwas gemein. Ich habe eine Farbidee, nehmen wir zum Beispiel einen schönen bunten Streifenpullover. Ich skizziere diese und stricke dann drauflos, Reihe für Reihe. Wenn ich mein Romangerüst fertig habe, dann stricke ich den Roman auch von der ersten Szene bis zur letzten Szene durch, bis ich die Erstfassung fertig habe. Während dieses Prozesses gehe ich aber immer noch mal vor und zurück um die dreidimensionale Struktur zu verdichten. Und da liegt der Unterschied zum Stricken: ich kann das bereits Gestrickte nicht verändern, das bereits Geschriebene aber schon. Und davon sollten wir reichlich Gebrauch machen, wobei es wichtig ist, dass wir uns zum Einen durch unsere Intuition und zum Anderen durch unseren Scharfsinn leiten lassen.
Dann besteht die Mammutaufgabe darin, diese Rohfassung zu verdichten und überflüssige Szenen und Passagen rauszuwerfen. Ich muss mein Leitmotiv und Thema erkennen und wenn möglich Alles, was davon ablenkt, beiseite stellen. Dann verdichte ich die Sprache und Athmosphäre einer Szene, indem ich sie so lange überarbeite, bis ich mit ihr zufrieden bin. Es kann dabei sein, dass ich eine Szene 20-50 Mal lese. Ich sollte sie danach immer noch mögen. Wenn mich mein eigenes Geschriebenes langweilt, sollten die Alarmglocken schellen.
Zum Glück besteht eine allgemeine Übereinkunft darin, dass Erzählungen Nahrung für die Seele sind und wir sie brauchen. Und so ist es auch mit Pullovern.
Mit den Farben eines Pullovers kann ich wie mit der Sprache ein wenig schwindeln und doppeldeutig sein. Ein bestimmtes Blassgelb kann stark leuchten, wenn es zum Beispiel von einem Dreiklang von Rosa, Braun und Lila umgeben ist, oder einem ins Bläuliche gehenden Grau. Manchmal schreit eine Farbe, dann wieder ist sie ruhig, wie ein Waldsee, je nachdem, was ich dagegen setze. Ich erwecke mit einfachen, leuchtenden Streifen die Illusion eines Sonnenunterganges am Mittelmeer. Wenn ich ihn etwas einschwärze und mehr ins Trockene, Realistische heruntertöne, ist es ein Sonnenuntergang an der Ostsee. Auch mit der Sprache kann ich die Wahrnehmung und Empfindungen meiner Leser*innen unglaublich manipulieren. Wichtig ist, dass ich das nicht mutwillig tue und auch nicht ausschließlich rosa Saft über dem Roman ausgieße, sondern dass ich beim Schreiben ehrlich auf meine innere Stimme horche und versuche, zu einem möglichst authentischen Stil zu finden.
Zur Frage: „Ist Romanschreiben wie Stricken?“ würde ich sagen, dass Stricken wie die Vorbereitung zum Roman ist. Es unterdrückt die tiefer gehenden Gedanken und leert meinen Kopf von Überflüssigem. Damit macht es Raum im Kopf für die Gedanken, die mein Roman erfordert.
Nun wäre hier Deine Aufgabe, wenn Du magst: Achte bei Deinem nächsten Text auf Zweierlei: Habe ich meine Idee lebendig szenisch umgesetzt, Dialoge und sprechende Verben im Aktiv verwendet? Und dann: Habe ich alle Sinne angesprochen, kommen Gerüche, Geräusche und Farben in meinem Text vor? Solltest Du an einem Roman arbeiten, schau: gibt es Kapitel, die bisher nur gestrickt sind, aber noch nicht von Grund auf lebendig erschaffen? Hauche ihnen Leben ein mit derselben Zweierlei-Methode!