Hier speise ich immer am Sonntagabend Texte ein, die kleine, autobiografische Geschichten über das Schreiben mit Schreibtipps und der Ermutigung zum Weiterschreiben verbinden. Wenn Du also gerade zu schreiben angefangen hast oder schon länger gerne schreibst, ist dieser Literaturblog Dein freundlicher Begleiter.
Agnes
- Die wa(h)re Illusion (36)von Agnes DomkeIch habe seit jeher einen Spleen für heruntergekommene, alte Gebäude gehabt, mit blätterndem Putz, knarrenden, in Ochsenrot gestrichenen Dielen und den doppelten Fenstern mit Messinggriff, durch die leise der Wind pfeift. Ich mochte immer sehr die leise Traurigkeit darin. Jetzt frage ich mich, ob sich in mir etwas geändert hat, denn ich war neulich zu…
- Poetische Sprache, einfach und archaisch (35)von Agnes DomkeEwig und strahlend zieht über die dunkle Erde der Himmel dahin Ich spüre diese verrückte und harte Erde In meiner Brust knirschen Glasmurmeln, Schnee fliegt Von nichts anderem als unsrem Schlaf durchdrungen Lieg ich verwundert in dieser Arena unter dem Himmel Kein Sand, der die Gräber je überwächst. Ich verliere ein paar worte. Nicht nennenswert.…
- Der Personenbriefumschlag (34)von Agnes DomkeWenn wir uns in jemanden verlieben, dann gehen wir als richtige Künstler zu Werke und projizieren mit Verve wunderbare Eigenschaften in das Objekt unserer Liebe hinein. Der Angebetete ist dann sofort unglaublich witzig, unglaublich charmant, hat all das, was wir nicht haben und sieht überirdisch gut aus. Es ist auch kein Wunder, dass die Liebe…
- Die Sieben Geheimnisse der Liebe zu einer Figur (33)von Agnes DomkeAls ich eines Abends feststellte, dass ich mich überhaupt nicht dazu bringen konnte, den Riesenberg an Abwasch zu erledigen und die Wohnung zu fegen, kam mir in den Sinn, wie schön es wäre, jemanden zur Hilfe zu haben. Da ich zu jener Zeit viel Tschechow las, trat Servil vor mein inneres Auge, ein betagter, russischer…
- Dialoge: Den Ball in der Luft halten (32)von Agnes DomkeAls vor ein paar Jahren noch die in Tegel anlandenden Flugzeuge die Angewohnheit hatten, so tief zu fliegen, dass wir es für gewöhnlich nur unter Mühen schafften, laut genug zu reden, um unsere Gespräche nicht wegen des Fluglärms unterbrechen zu müssen, war das auch die Zeit, in der es absolut unmöglich war, den Gesprächen unserer…
- Impressionismus (31)von Agnes DomkeNeulich besuchte ich eine befreundete Künstlerin, die mit ihrem neunjährigen Sohn in einem 50er-Jahre- Genossenschaftsbau in drei knapp zugeschnittenen Zimmern lebt. Sie übernachtet zur Zeit häufig gemeinsam mit ihrem Kind im Garten und hält sich nur noch selten zuhause auf. Die Wohnung gefiel mir plötzlich um Einiges besser, als bei meinem letzten Besuch im Winter.…
- Der Pantheon der Musen in Dir oder Nahrung für die Seele (30)von Agnes DomkeEs kann leicht einmal passieren, dass Du das Gefühl hast, die Musen haben Dir den Rücken gekehrt, sie kümmern sich nicht mehr um Dich, denn das Schreiben macht Dir keinen Spaß mehr. Du wunderst Dich: das Schreiben war immer Deine Lieblingsbeschäftigung, Dein Hafen, Dein Jungbrunnen. Wenn Du so empfindest, dann ist es höchste Zeit, dass…
- Rosen und Jugend oder der Brieferausch (29)von Agnes DomkeMeine Cousine Bianca aus Berlin habe ich in der Kindheit nur selten sehen können. Einmal aber haben unsere Eltern es geschafft, unser beider Ferien (die damals noch DDR-weit auf denselben 8 Wochen lagen) so zu planen, dass wir gemeinsam zu meiner Oma auf’s Dorf zur Erholung fahren konnten. Wir genossen das Landleben, gingen in den…
- Dicke Gazevorhänge oder das Bonding mit der Hauptfigur (28)von Agnes DomkeIch schaue aus dem Fenster in den Garten. Die Tulpen halten ihre Kelche scheu geschlossen, denn soeben hat es geregnet. Eine kleine Kohlmeise macht Betrieb, sie fliegt hierhin und dorthin, um alles Getier im Garten dazu aufzufordern, das Erwachen nach dem Regen zu feiern. Brigitta von gegenüber hat ihre Jalousien hochgezogen. Ihr an die hundert…
- Gut umhüllt oder Die Atmosphäre in einer Story (27)von Agnes DomkeFreder sitzt auf der Terrasse seines Hausboots in der Uckermark, das ihm für den Sommer als Künstlerresidenz zugelobt worden war. Er schaut auf die glatte Oberfläche des Sees. Violette und rosa Wolkenschichten türmen sich über dem Horizont. Die Sonne steht bereits tief und blinzelt weiß durch die Schatten eines angrenzenden Eichenwaldes. Freder skizziert mit Pastellkreide…
- Traumwesen (26)von Agnes DomkeAls meine Tochter drei Jahre alt war, bin ich mit ihr in ein großes Second-Hand-Kaufhaus gefahren. Sie hatte vor noch nicht allzu langer Zeit sprechen gelernt, und das war unsere erste gemeinsame Shoppingtour. Meine Tochter schien das Einkaufen in einem solchen Laden schon in einem anderen Leben erlernt zu haben. Sie war so winzig, dass…
- Meine sprechenden Vorfahren: meine Oma (25)von Agnes DomkeWenn ich als Kind bei meiner Oma in ihrem kleinen Dorf in der Uckermark zu Besuch war, betrat ich morgens immer die bis zur Fadenscheinigkeit abgewetzte, jedoch wunderbar nach Pfefferminz duftende Küche. Ich umarmte meine Großmutter, die rund und lieb und unfassbar weich war. Sie begrüßte mich in ihrem singenden Ostpreußisch und fragte, ob ich…
- „It’s a Sven“ oder Nomen est Omen (24)von Agnes DomkeSeit ungefähr zehn Jahren überlege ich immer mal wieder im Abstand von ein paar Jahren, ob ich meinen netten Nachbarn Sven, der in unserem Haus so vielen älteren Menschen hilft, zu einem Kaffee einladen soll. Meine schriftstellerische Phantasie springt dann immer so weit, dass ich uns schon eine Tür von meiner Küche zu seiner einbauen…
- Im Clinch mit der Heimat (23)von Agnes DomkeUnlängst fuhr ich mit dem Zug durch die Niederlausitz, die nominell meine Heimat ist. An einer Haltestelle namens Teichland mit einem wirklich sehr schönen Teich zur Rechten, zerschnitt zur Linken ein dickes Fernwärmerohr die Landschaft in zwei Teile. Ein patriotischer Spruch war darauf gesprüht, bei dem es um den Plattenbau als die einzige Skyline ging…
- Über Rehe und Menschen (22)von Agnes Domke„Da sind wieder Rehspuren vor dem Tor“, sagt mein Vater, „Sie sind gekommen, haben gesehen, dass das Tor zu war und sind wieder gegangen.“ Ja, die Rehe sind eigensinnig. Sie gehen und kommen gern, wie und wann sie wollen. Sie springen an der Rückseite des elterlichen Grundstücks über den Staketenzaun und grasen jeden noch so…
- Die unterstützenden Geister (21)von Agnes DomkeAn der Kunsthochschule Dresden gab es zur Zeit meines Studiums in den Neunziger Jahren einen jungen Assistenten der Kunstgeschichte, der uns immer alle anklagte. Wir sollten uns überlegen, ob die Welt unsere Kunst wirklich braucht, ob der privilegierte Platz, den wir damit einzunehmen trachten, gerechtfertigt ist. Er redete fast alle Kunst, die er von uns…
- Die Nonsensmaschine (20)von Agnes DomkeIch hatte einmal einen Freund, dessen Ziel es war, alle Sprachen zu lernen, die rund um die Ostsee gesprochen werden. Er war nicht zufällig mein Freund. Auch ich hatte damals neben der Kunst das Hobby, (fast) alle Sprachen der Länder zu lernen, in denen ich mich gerne aufhalte. Schwierige und gleichzeitig von kleinen Völkern gesprochene…
- Ist Romanschreiben wie Stricken? (19)von Agnes DomkeSpontan fällt mir dazu ein: Nein, denn Schreiben ist eher dreidimensional. Alles hat mit Allem etwas zu tun und Alles muss einen Grund haben.In meiner Jugend, lange bevor ich die Meditation kennenlernte, strickte ich sehr viel. Während der Klassenfahrt musste meine Freundin Ricarda mich meistens unterhaken, da ich, während wir durch Weimar spazierten, an einem…
- Schriftstellerin ohne Katze (18)von Agnes DomkeKürzlich habe ich überlegt, ob es nicht eine gute Idee wäre, mal etwas anderes als Liebesgeschichten zu schreiben. Das liegt daran, dass ich fast schon vollständig dem Klischee einer Schriftstellerin mittleren Alters entspreche: Ich bin übergewichtig, schreibe Liebesgeschichten und rede Yogapolster und Sofakissen mit freundlichen Kosenamen an. Weil das Liebesleben meiner Figuren so reich und…
- Der Rhythmus der Großstadt (17)von Agnes DomkeIch war ein junges Mädchen von achtzehn Jahren und gerade nach Berlin gezogen. Ein Traum war für mich in Erfüllung gegangen und doch fühlte ich mich häufig ganz ohne Grund unwohl in meiner Haut. Ich war auf der guten alten Suche nach mir selbst und häutete mich offenbar. Leider war ich dabei oft einsam. Mit…
- Die künstlerische Offenbarung (16)von Agnes DomkeMeine musikalische Entwicklung verlief ein wenig, als ob ich mit der Dampflock durch’s späte 20. Jahrhundert getuckert wäre. Ich lernte die Beatles erst mit sechzehn kennen durch einen ungarischen Vikar, der sie mir mit Gitarrenbegleitung vorsang. Ich mochte bis dahin keine Rockmusik, denn ich hatte das Gefühl, das Schlagzeug zerschlägt den Gesang. Dass mir das…
- Mit Herz und Seele schreiben (15)von Agnes DomkeIch fühle mich oft verpflichtet, die Publikationen von Schriftsteller*innen zu lesen, mit denen ich mehr oder weniger gut bekannt bin. Dabei kommt es nicht selten vor, dass es mich schon nach wenigen Seiten so sehr fröstelt, dass ich nicht zu ende lesen kann. Ich habe dann das Gefühl: diesem Text fehlt die Seele. Einige Etymologen…
- Über das Besondere schreiben (14)von Agnes DomkeAls meine Schwester und ich klein waren, reisten wir mit unseren Eltern im Sommer häufig nach Südmähren und verbrachten dort zwei Wochen bei der Familie Borakovi (Namen geändert) auf einem Bauernhof. Die Borakovis hatten zwei Mädchen, die etwas älter waren, als wir. Leider konnten wir uns nur durch Gesten mit ihnen verständigen. Meine Eltern hatten…
- Der Zirkus kommt (13)von Agnes DomkeIn unserer Gegend hängen Zirkusplakate: ein junger Mann mit Musketierbart steht auf zwei weißen Pferden. Eine Frau im Paillettenkostüm und hautfarbenen Netzstrumpfhosen sitzt auf seiner Schulter, ihre Beine sind parallel zu Seite gestreckt. Der junge Mann lächelt schief. Etwas hakt mich fest an diesem Foto. Es ist das schiefe Lächeln und dass ich die Frau…
- Beziehungssalat auf der U-Bahn-Bank (12)von Agnes DomkeNeulich saß ich in der U-Bahn und vier Leute setzten sich auf die Bank mir gegenüber. Das war ein richtiger Glückstreffer, denn da saßen: ein dunkel gelockter Jungspund mit seiner Mutter. Beide beugten sich in seltsamer Verschwörung über des jungen Mannes Handy, riefen Videos auf, um sich darüber in lauter Herzlichkeit kaputtzulachen. Dazu setzte sich…
- Maria durch ein Dornwald ging (11)von Agnes DomkeManchmal möchte ich meinen, Weihnachten und Ostern sollten vertauscht werden. Im Frühling sprießt und beginnt alles, das wäre ein guter Zeitpunkt für die Geburt des Jesusbabys. Im tiefsten Winter zur Wintersonnenwende würde ich erwarten, dass Jesus gestorben wäre. Doch Jesus ist im Frühjahr gestorben und am Ostermorgen auch gleich wieder auferstanden und deshalb macht dann…
- Kunst und Schmerz (10)von Agnes DomkeKunst kommt nicht von Können, sondern von Krankheit. Das ist eine Erkenntnis, die mich vor einigen Jahren befallen hat. Künstler*innen können durch die Beschäftigung mit ihrer eigenen Leidenserfahrung ihrem Werk mehr Tiefe verleihen und ihre Leser*innen im Innern berühren. Die künstlerische Arbeit ist oft der Versuch, mit sich selber in Harmonie zu kommen und somit…
- Das Coming Out als Künstlerin (9)von Agnes DomkeAls Kind hatte ich neben Lehrerin, Astrophysikerin und Apothekerin immer wieder den Wunsch, Künstlerin oder Schriftstellerin zu werden. Mein Vater, den ich dazu konsultierte, schien die Kunst mehr als eine Art Hochleistungssport anzusehen: „Nur wer besser ist, als Picasso, darf sich in der Kunst versuchen“, sagte er mir. Inzwischen hat er seine Meinung geändert. Er…
- Die Künstlerin, die in Dir schlummert (8)von Agnes DomkeAls Kind bin ich nicht gerne nach draußen gegangen. Wir lebten auf einem jüdischen Friedhof und es gab viel Gebüsch, Gestrüpp und verwunschene Plätze. Zum Beispiel konnte eine steinerne Urne als Speiseeisausschank dienen und ein eingezäuntes Feld mit großem, schwarzem Grabstein als Wohnung. Das scheint ein wenig blasphemisch, aber so haben unsere Kinderaugen diesen Ort…
- Der Gedankenstrudel (7)von Agnes DomkeEs ist ein später Herbsttag, die Bäume machen sich noch einmal schön, werfen mit theatralischer Geste ihre rotbunten Röcke auf, bevor sie sich bald erschöpft in ihre scheinbare Wintersterblichkeit begeben werden. Ich habe einen guten Trick, die optimale Sonne an meinem Küchenfenster abzufassen. Ich öffne es sperrangelweit, schlage meinen Laptop auf und stelle mich ans…
- Schreiben kann zaubern. (6)von Agnes DomkeIch schreibe gerne Liebesgeschichten und suche mir dafür mitunter Personen aus meiner näheren und ferneren Umgebung aus, die dann zu Charakteren in meinen Geschichten werden. Also Achtung, es ist ein bisschen riskant, mit einer Schriftstellerin befreundet oder auch nur bekannt zu sein, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man in eine Geschichte Eingang findet. Für…
- Den Schreibfluss finden (5)von Agnes DomkeIch bin für den Herbst noch nicht bereit, deshalb setze ich mich, so oft die Sonne scheint, in das kleine Parkcafé, das tapfer seine Jalousien offen hält, selbst wenn nur wenige Besucher*innen kommen. Heute sitze ich wieder einmal zwischen Müttern, Pärchen und Hundefreund*innen dort. Die Sonne scheint milchig in unsere hungrigen Gesichter. Ein niedlicher, brauner…
- Mein Schreibort und der Stoff der Träume. (4)von Agnes DomkeLetzte Nacht habe ich mich unruhig im Bett gewälzt und das Wort „Box“ geträumt und dann das Wort „Blau“, wobei ich mit der Nase in einem blauen Kissen steckte. Ich hatte das Gefühl: diese beiden Worte sind für mich bedeutungsvoll. Am Abend vorher hatte ich darüber nachgedacht, an welchem Projekt ich jetzt, da mein neuer…
- Savasana oder wie komme ich morgens in Gang? (3)von Agnes DomkeDes Morgens stehe ich immer etwas dröge auf, doch ich habe ein paar neue Methoden, um mich von gefühlt einem Stück rohem Teig innerhalb von einer halben Stunde in ein gut durchgebackenes, duftendes Stück Brot zu verwandeln. Ein Trick ist, dass ich mir, ganz wie von Mr. Woodhouse in Jane Austens „Emma“ als Heilung gegen…
- Wie erschaffe ich Figuren? (2)von Agnes DomkeVor zehn Jahren saß ich hochschwanger unter’m Birnbaum in unserem Kleingarten und strickte. Die Maisonne streichelte mir Gesicht und Hände, unsere Nachbarin grüßte, der Vater meiner Kinder pflanzte einen Haselstrauch und mein kleiner Sohn buddelte im Sandkasten. Als werdende Mutter hast Du ein Gefühl, was das für ein Baby die Frucht in Deinem Bauch einmal…
- Mein Vater oder woher kommt bei mir das Schreiben? (1)von Agnes DomkeDazu möchte ich zuerst verraten, wer meine redenden Vorfahr*innen sind und waren: meine Oma (mütterlicherseits, zu ihr schreibe ich später) und mein Vater. Mein idealer Leser war und ist auch heute noch mein Vater. Schon als ich mit sechs Jahren Gedichte schrieb und sie mit Ormeg-Abzügen vervielfältigte und zu kleinen Heftchen band, war mein Vater mein…